Claudia Wangerin
2011 / 1 / 6
05.01.2011 / Schwerpunkt / Seite 3
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»Der Mord kam nicht überraschend«
Das Gedenken an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht wird auch in diesem Jahr mit aktuellen politischen Forderungen verknüpft. Ein Gespräch mit Jasper Oelze und Paul Meißner
Claudia Wangerin
Sie rufen gemeinsam zur Luxemburg-Liebknecht- Demonstration am kommenden Sonntag auf. Welche der politischen Forderungen ist aus Ihrer Sicht heute die wichtigste?
Jasper Oelze: Das Hauptziel des Spartakusbundes war es, den Krieg zu beenden. Das ist das große Vermächtnis von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht. Und die Frage von Krieg und Frieden steht auch heute an erster Stelle. Deutsche Truppen stehen in Afghanistan, ein Krieg gegen Iran könnte sehr schnell zum Flächenbrand werden.
Paul Meißner: Ich bin auch als Kriegsgegner dazugekommen. Und weil ich Arbeitslosigkeit und soziale Kälte in meinem Umfeld selbst erlebt habe und davon betroffene Menschen kenne.
Im Bewußtsein der Massen in der BRD spielen Sozialabbau und wirtschaftliche Existenzangst eine größere Rolle als zum Beispiel der Krieg in Afghanistan. Wie können Linke mehr Menschen dort abholen, wo sie stehen?
Paul Meißner: Linke haben klare Antworten auf gesellschaftliche Probleme, sind aber zum Teil nicht in der Lage, sie deutlich zu formulieren. Wenn mich jemand fragt »Warum soll ich da hingehen?«, würde ich sagen, jeder hat das Grundrecht, für eine Sache zu demonstrieren, die ihm wichtig ist. In unserem Fall sind das Dinge, die jeden etwas angehen. Meistens gehen Leute, die nicht demonstrieren würden, auch nicht wählen.
Umgekehrt gibt es politisch denkende Menschen, die an Demonstrationen teilnehmen, aber bewußt nicht wählen gehen, weil Sie sich von keiner Partei vertreten fühlen. Können Sie das nachvollziehen?
Paul Meißner: Das ergibt nur teilweise Sinn. Daß die Parteien inzwischen alle in ein und dieselbe Richtung driften, will ich gar nicht bestreiten. Aber noch bestehen wichtige Unterschiede. Und nicht wählen zu gehen, das nützt im Zweifel der Partei, die man am wenigsten haben will. Mich würde mal das Ergebnis einer Wahl interessieren, an der alle Wahlberechtigten teilnehmen. Ich glaube nicht, daß das so ausfallen würde, wie wir es kennen. Aber natürlich reicht Wählen nicht aus. Der Druck von der Straße gehört auch dazu, wenn man etwas verändern will. Es klingt vielleicht abgedroschen, aber: Wer kämpft, kann verlieren, wer nicht kämpft, hat schon verloren. Und unsere Themen betreffen die Mehrheit. Es ist nicht nur eine Antikriegsdemonstration, sondern auch eine gegen Fremdenfeindlichkeit, für das Asylrecht, gegen Arbeitslosigkeit und Ausgrenzung.
Es sollte normal sein, daß man sich nicht von irgendwelchen Sarrazins bequatschen läßt, sondern versucht, mit allen Menschen zurechtzukommen, egal woher sie mal gekommen sind. Das ist die Basis für ein Zusammenleben. Sonst braucht man sich über Parallelgesellschaften nicht zu wundern.
Jasper Oelze: Es sind ja zum Beispiel auch türkische linke Gruppen dabei. Über 300 Personen und Organisationen haben bis zum Jahresende den Aufruf zur Liebknecht-Luxemburg-Demonstration unterzeichnet. Es sind verschiedene Generationen, von der sehr jungen Antifa-Gruppe bis zu meiner Generation. Ein Ort, an dem sich Linke über wichtige Fragen austauschen können, ist auch die Rosa-Luxemburg-Konferenz in der Urania am Tag vor der Demonstration.
Paul Meißner: Karl und Rosa sind ein Synonym für Veränderung in Deutschland. Für das andere, friedliche und sozial gerechte Deutschland. Der Mord an ihnen kam insofern nicht überraschend.
Jasper Oelze: Diese linksrevolutionären Kämpfer sind der Reaktion ein Dorn im Auge gewesen. »Schlagt ihre Führer tot«, lautete die Hetzparole gegen Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht; und beide wurden im Januar 1919 heimtückisch durch die Soldateska ermordet.
Allerdings hat die SPD-Führung das gebilligt.
Jasper Oelze: Karl und Rosa wurden aber nicht von »den Sozialdemokraten« umgebracht. Viele SPD-Mitglieder haben geweint, als sie die Todesnachricht erhalten haben.
Wie sind Sie selbst zur SPD gekommen?
Jasper Oelze: 1945 war ich noch keine 18 Jahre alt und kam aus der Kriegsgefangenschaft. Meine Motivation war »Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg«. Ich bin damals aus Tradition Mitglied der SPD geworden. Mein Elternhaus war sozialdemokratisch. Meine Mutter wollte dann zur Kommunistischen Partei wechseln, aber im KPD-Büro in Wanzleben hat man ihr gesagt: »Sieh mal zu, daß du in der SPD bleibst. Wir wollen unsere Lehren aus der Geschichte ziehen. Wir werden uns vereinigen, da kommen wir nicht drum herum. Das ist der Schwur von Buchenwald. Das haben sich diejenigen geschworen, die in den Gefängnissen und Zuchthäusern waren.«
SPD-Politiker sprechen heute von einer Zwangsvereinigung. Wie groß waren die Widerstände damals aus Ihrer Sicht?
Der Prozeß der Vereinigung war für mich als 18jähriger eine schwierige Sache. Die Mehrheit war bereit, diesen Schritt mitzugehen, aber als jugendlicher Unterkassierer meiner Ortsgruppe diskutierte ich oft bis in die Nacht hinein mit 40-, 50-, 60jährigen Sozialdemokraten, die zum Teil große Vorbehalte gegenüber den Kommunisten hatten. Ein alter Kommunist, der in unserer Nähe wohnte und lange im Konzentrationslager gewesen war, hat sich dann meiner angenommen und mir das Rüstzeug für die Diskussionen mitgegeben.
Eine große Enttäuschung haben wir dann noch erlebt: Der Hauptkassierer der SPD verschwand kurz vor der Vereinigung mit seinem Sohn und der Kasse nach Westberlin.
Wie unterscheidet sich die Demonstration heute von den Demonstrationen zu DDR-Zeiten?
Jasper Oelze: Ich habe an all diesen Demonstrationen zu DDR-Zeiten teilgenommen. Damals gefiel mir nicht, daß wir auf dem Ehrenfriedhof an den Mitgliedern des Politbüros und des Zentralkomitees der SED vorbeizogen, und daß sie vor denjenigen standen, die wir eigentlich ehren wollten. Die Masse winkte ihnen zu, aber wir wollten ja in erster Linie Karl und Rosa ehren, nicht das Zentralkomitee.
Und einmal hatte ich auf der Demonstration meine Enkelin auf dem Arm, sie war damals noch sehr klein und mußte auf die Toilette. Deshalb verließ ich mit ihr kurz die Demonstration – und wurde nicht wieder hineingelassen. Es ging um den Schutz des Zentralkomitees. Diese Sturheit, die fast an Dogmatik grenzt, hatte für mich nichts mehr mit dem Sinn der Demonstration zu tun. Ich bin mit meiner Enkelin nach Hause gegangen. Die Demo war für mich gelaufen.
Paul Meißner: Man darf das aber auch nicht überbewerten. Es war wohl ärgerlich, aber das Sicherheitsbedürfnis an sich war doch nachvollziehbar. Man darf ja die Zustände damals im Kalten Krieg nicht außer acht lassen.
Jasper Oelze: Das war eben eine Episode. Es hat mich ja auch nicht davon abgehalten, in den Jahren darauf wieder an der Demonstration teilzunehmen.
1990 haben zum großen Erstaunen der Westmedien Hunderttausende Menschen an der Demonstration teilgenommen, obwohl sich die DDR in Auflösung befand und es nicht mehr als gesellschaftliche Verpflichtung von oben galt. Waren auch Sie erstaunt über die große Beteiligung?
Jasper Oelze: Da hat sich eben gezeigt, daß doch einige aus ehrlicher Überzeugung dabei waren. Und das politische Interesse war damals sehr groß, weil niemand wußte, wie es jetzt weitergeht. Ich selbst habe für die gleichen Ziele wie zuvor, für die grundlegenden kommunistischen Ideale und für den Erhalt des Friedens demonstriert. Die kleine DDR hatte ja einen großen Beitrag zum Erhalt des Friedens geleistet. Für mich war die so genannte Wende eine Konterrevolution. Nicht zuletzt wegen der deutschen Kriegseinsätze, die danach sehr schnell wieder Normalität geworden sind.
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